Die unendliche Geschichte des Fahrscheins
Welches Ticket brauch ich? Und wenn ja, wie viele?
Was macht für Sie einen guten Nahverkehr aus? Sicherlich sind es die pünktlichen Abfahrten von Bussen und Bahnen sowie ein gutes Angebot. Genauso essentiell und häufig abschreckend für viele Menschen ist aber der Zugang zu einem Fahrschein. Welches Ticket ist das richtige? Wie teuer ist es? Wo bekomme ich einen Fahrschein und wie nutze ich ihn richtig? Wenn wir in Zukunft mehr Menschen dazu bringen möchten, den ÖPNV zu nutzen, um gemeinsam die Klimakrise zu meistern, dann ist der einfache Zugang zu diesem System der Schlüssel!
Aber war das schon immer so kompliziert? Gehen wir gemeinsam auf Zeitreise!
Steigende Nachfrage und sinkende Preise
Als die erste elektrische Straßenbahn 1904 durch Rostock rollte, kostete eine Fahrt 10 Pfennige. Das war nicht wenig! Zum Vergleich: Ein Brot kostete zu der Zeit 15 Pfennige und 1 Kilogramm grüne Heringe 25 Pfennige.
Dennoch wurde die Straßenbahn zum Massenverkehrsmittel. Denn Dank der Elektrifizierung und neu eingeführter Abonnements stieg die Attraktivität des Verkehrsmittels und ermöglichte aufgrund der hohen Nachfrage eine Tarifabsenkung.
10 Millionen Mark für eine Fahrt
Doch dann folgte der Erste Weltkrieg. Die Finanzierung des Kriegs verursachte eine inflationäre Entwicklung, die 1923 ihren Höhepunkt fand. Die Geldentwertung übertraf im Verlauf des Jahres die schlimmsten Befürchtungen. Zum 1. August 1923 wurden daher wertbeständige Löhne eingeführt. Diese wurden wöchentlich aus dem aktuellen Valutawert der Mark berechnet. (Dies bezeichnet den Wert oder Gegenwert einer Währung an einem bestimmten Datum.)
Die RSAG beantragte daraufhin eine wöchentliche, automatische Fahrpreiserhöhung. Stellen Sie sich an dieser Stelle einmal vor, wenn Sie jede Woche mehr für Ihren Fahrschein zahlen müssten. Die Inflation überholte diese Bestrebungen aber ohnehin.
Während am 1. Mai 1923 eine einfache Fahrt noch 200 Mark kostete, waren es am 1. August 100.000 Mark und am 12. Oktober schließlich 10 Mio. Mark! Die Geldentwertung schritt so rasant voran, dass die Einnahmen an den Endstellen der RSAG von Boten in großen Körben ins Depot gebracht wurden. Doch schon am nächsten Tag war das ganze Papiergeld nichts mehr wert.
Die Währungsreform und die Umstellung auf die Rentenmark als Notwährung brachte das Ende dieser Entwicklung. Am 29. November kostete eine Fahrt schließlich wieder „nur“ 0,15 Rentenmark.
Das Z-System
Ganz zu Beginn der 140-jährigen RSAG-Geschichte, als wir noch mit Pferdewagen über Rostocks Straßen rollten, kassierten Schaffner das Fahrgeld direkt von den Fahrgästen. Das war personalintensiv und teuer. Daher ging man dazu über das Fahrgeld vom Fahrgast selbst in einen sogenannten Zahlkasten einwerfen zu lassen – natürlich unter Aufsicht des Fahrers. Nach Inbetriebnahme der ersten elektrischen Straßenbahnen setzte man, aufgrund der gestiegenen Fahrgastzahlen, zusätzlich wieder Schaffner ein.
Während mit dem Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg, Ende der 50er Jahre die Fahrgastzahlen stiegen, fehlte es allerdings massiv an Personal. Dieses Problem bestand natürlich nicht nur in Rostock. Daher hatten schon andere Städte sehr erfolgreich das Z-System eingeführt. Das Z steht hierbei natürlich nicht für Zorro, sondern – wenig aufregend – für Zeitkartentriebwagensystem.
Der vordere Triebwagen fuhr ohne Schaffner. Hier durften daher nur Fahrgäste mit Zeitkarten einsteigen. Die Fahrgäste stiegen vorn beim Fahrer ein, zeigten ihre Monatskarte vor und stiegen dann auf der hinteren Plattform wieder aus. So konnte der Fahrgastwechsel zügig durchgeführt werden. Im hinteren Beiwagen fuhren weiterhin Schaffner mit. So bedurfte es etwa 60 Mitarbeiter weniger, die dann an anderer Stelle im Betrieb eingesetzt wurden. Ab dem 1. August 1964 fuhren dann alle Straßenbahnen ohne Schaffner.
Foto: Wismar-Wagen mit Beiwagen am Uniplatz ca. 1960 (©K. Adam)
Triebwagen mit Kennzeichnung „ZZ“ für Zweit-Zeitkarten-System
Ein Knopf tut’s auch …
Die Dette-Zahlboxen waren dem gänzlich schaffnerlosen Betrieb und den Anforderungen an ein zeitgemäßes Abfertigungssystem Mitte der 70er Jahre nicht mehr gewachsen.
Neben diversen technischen Mängeln, die etliche Reparaturen verursachten, war vor allem die mangelnde Kontrollierbarkeit ein Problem. Verstopfte z.B. die Fahrscheinrolle, so bekam der Kunde kein Ticket, selbst wenn er bezahlt hatte. Häufig fielen Münzen oder Fahrscheine durch, ohne im Sichtbereich liegen zu bleiben. Bereits nach 3-maligem Ziehen des Hebels, konnte nicht mehr kontrolliert werden, ob der Fahrgast das Geld überhaupt in genügender Höhe eingeworfen hatte, weil die Münzen dann im Sammelbehälter verschwanden. So verirrte sich auch schon mal der ein oder andere Knopf als Münzersatz in der Box. In den Bussen kam hinzu, dass der Einstieg nur durch die Vordertür möglich war, damit der Fahrer den Zahlvorgang kontrollieren konnte. Das sorgte dafür, dass sich der Stopp an der Haltestelle bei starkem Andrang entsprechend verlängerte.
Die Lösung: Ein Entwertersystem.
Fotos oben: Frühere Zahlbox im Fahrzeug (©Rostocker Nahverkehrsfreunde)
Foto unten links: Entwerter der Firma Lorenz ab 1976 (©Rostocker Nahverkehrsfreunde)
Foto unten rechts: Verschiedene Zahlboxen und Entwerter, zu sehen im depot12 (©Rostocker Nahverkehrsfreunde)
Fahrscheine sollten von nun an grundsätzlich vorab gekauft und im Fahrzeug entwertet werden. Das machte den massiven Ausbau von Vorverkaufsstellen notwendig, um den Kunden den Erwerb der Fahrscheine jederzeit und bei zumutbaren Entfernungen zu ermöglichen. Neben dem Ausbau des eigenen Verkaufsnetzes, wurden daher zusätzlich über 60 Fremdverkaufsstellen hinzuzugewonnen, die gegen eine Provision den Verkauf von Fahrscheinen übernahmen.
Foto oben links: Fahrscheinverkauf in Markgrafenheide, 1984 (©Rostocker Nahverkehrsfreunde)
Foto oben rechts: Fahrscheinverkauf in Marienehe, August 1986 (©Benno Peschel)
Foto unten links: Kunden vor der Verkaufsstelle des VEB Nahverkehr (©Rostocker Nahverkehrsfreunde)
Foto unten rechts: Fahrkartenverkauf am Steintor, Januar 1991 (©Rostocker Nahverkehrsfreunde)
Automatisierung und Digitalisierung
In den 80er Jahren gab es dann die ersten mikrorechnergesteuerten Fahrausweisautomaten. So konnte man als Fahrgast erstmals ganz eigenständig ein Ticket im Vorverkauf erwerben. Die ersten Automaten in Rostock stammten noch aus der Konsumgüterproduktion in den letzten Jahren der DDR. Sie brachten aber aufgrund ihrer vielen Defekte kaum einen Nutzen, sondern eigentlich nur Überstunden in der Werkstatt. Besser wurde es mit den etwa 35 Automaten der Firma Klüssendorf, die nach der Wende beschafft wurden.
Ende der 90er Jahre wurde aufgrund der Insolvenz des Herstellers allerdings bereits eine Umrüstung notwendig. Nun kennzeichneten die orangenen Fahrausweisautomaten der Firma Ascon alle Straßenbahn- und viele Bushaltestellen im Liniennetz. Diese besaßen nun bereits einen Banknotenakzeptor, sodass man nicht mehr ausschließlich mit Münzen zahlen musste. Ersetzt wurden sie schließlich im Jahre 2010 durch die auch heute noch aktiven Fahrausweisautomaten der Firma Almex.
Foto: Fahrscheinautomat der Firma Ascon an der Bushaltestelle Helsinkier Straße (©RSAG)
Erstmals erhielten dabei auch unsere Fahrzeuge mobile Fahrausweisautomaten. Beim Kauf in Bus oder Straßenbahn ist der Fahrschein bereits mit Ausgabe entwertet. Während in den Fahrzeugen nur Bargeld als Zahlungsmittel angeboten wird, ist bei den an den Haltestellen befindlichen Fahrausweisautomaten von Beginn an Kartenzahlung möglich - seit 2019 auch kontaktlos durch einfaches Auflegen der Geldkarte.
Ein Blick in die Glaskugel
Aber unsere Geschichte endet hier natürlich nicht! In den nächsten Jahren steht erneut eine Modernisierung der Automaten bevor. Die fortschreitende Digitalisierung ermöglicht nicht nur einen zunehmend bargeldlosen, sondern auch verstärkt papierlosen Verkauf. So können zusätzlich Ressourcen gespart werden.
Ein Meilenstein stellt dabei auch das im Jahr 2018 eingeführte Mobile Ticketing-System des Verkehrsverbunds Warnow dar. Hier folgen noch in 2021 zwei besonders häufig nachgefragte Neuerungen: Der Kauf von Zeitkarten als mobiles Ticket und die Bezahlung mit PayPal.
Mit der RSAG auf Zeitreise
Die RSAG-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wahre Zeitzeugen. Für den Einblick in die Entwicklung des Fahrscheins bedanken wir uns bei
Mario Engel
(Mitarbeiter strategisches Marketing)